Und erlöse uns nicht von dem Bösen

      Und erlöse uns nicht von dem Bösen






      Und erlöse uns nicht von dem Bösen
      (Mais ne nous delivrez pas du mal)
      mit Jeanne Goupil, Catherine Wagener, Bernard Dheran, Gerard Darrieu, Marc Dudicourt, Michel Robin, Veronique Silver, Jean-Pierre Helbert, Nicole Merouze, Henri Poirier, Serge Frederic, Rene Berthier
      Regie: Joel Seria
      Drehbuch: Joel Seria
      Kamera: Marcel Combes
      Musik: Claude Germain / Dominique Ney
      FSK 16
      Frankreich / 1971

      Die beiden 14jährigen Klosterschülerinnen Anne und Lore interessieren sich nicht sonderlich für das, was Mädchen ihres Alters normalerweise so umtreibt. Statt sich mit so profanen Dingen wie Jungs abzugeben, lesen sie nachts lieber heimlich unter der Bettdecke die Werke von Lautréamont und Baudelaire und huldigen, ganz dem verführerischen Reiz des Verbotenen erlegen, hingebungsvoll ihrer einzig wahren Liebe, dem Teufel. Angefacht von ihrer Leidenschaft für das Böse und dem Plan, ihrem Liebsten zu imponieren, um sich ihm bei einem Hochzeitsritual vollends hingeben zu können, beginnen die beiden in den Sommerferien, den Männern aus ihrem Dorf gemeine Streiche zu spielen. Was als Spiel aus Verführung und Demütigung beginnt, gerät aber zusehends außer Kontrolle…


      Einmal mehr hat das Label Bildstörung eine absolut provokante Film-Perle ausgegraben, die erstaunliche Ähnlichkeiten zum tschechischen Film "Tausendschönchen" aufweist. Auch hier stehen zwei junge Mädchen im Mittelpunkt der Geschichte, die sich durch ihr Verhalten äußerst stark von der Menge abheben und durch ihre provokanten Taten für jede Menge Aufsehen sorgen. Anne und Lore schwören nämlich der Kirche ab und huldigen dem Satan, so das man den im Film-Titel geäußerten Wunsch "Und erlöse uns nicht von dem Bösen" durchaus wörtlich nehmen kann. Anders als in "Tausendschönchen" handelt es sich in vorliegendem Fall aber nicht um eine anarchistische Attacke zweier Außenseiterinnen gegen die bessere Gesellschaft, denn beide kommen aus guten Familien, wobei Anne sogar aus einer echten Aristokraten-Familie stammt. Gerade dieser Tatsache ist es aber auch geschuldet, das die Mädchen anscheinend aus dem spießbürgerlichen Mief entkommen wollen, denn schaut man sich als Zuschauer einmal die familiären Verhältnisse an, schnürt es einem die Luft zum atmen ab. Strenge Regeln und absolute Monotonie kennzeichnen das Leben der beiden Mädchen, für Spaß und die Entfaltung einer eigenen Persönlichkeit scheint dabei kein Platz zu sein. Zudem müssen beide auch noch eine Klosterschule besuchen, in der es streng und extrem gläubig zur Sache geht. Und so fassen sie den Beschluss sich dem Satan zuzuwenden und schwören der Kirche ab, so das man das gesamte Szenario schon als äußerst krasse Blasphemie ansehen kann.

      In der Folge denken sich die Teenager immer boshaftere Streiche aus und provozieren vor allem die Männer in ihrer Umgebung mit sexuellen Provokationen. Dabei sollte man anmerken, das die beiden Hauptdarstellerinnen im Film 14 Jahre alt sind und vom Optischen her auch so wirken, jedoch beim Dreh des Filmes schon 19 und 21 Jahre alt waren. Das optische Erscheinen der hübschen Mädchen kommt dem Gesamtbild sehr zu Gute, kann man ihnen doch einerseits die kindliche Naivität im Gesicht ablesen und verspürt doch andererseits den Aspekt des Frühreifen, der nicht nur visuell sondern insbesondere in den provokanten Dialogen extrem gut zur Geltung kommt. Hier liegt auch die meiner Meinung nach größte Stärke der Geschichte, denn obwohl die Handlungen der Mädchen immer boshaftere Züge erkennen lassen, liegt jederzeit ein Hauch von Verspieltheit und kindlicher Naivität über den Ereignissen. Dadurch entsteht eine noch höhere Intensität und der Zuschauer steht dem Ganzen mit ziemlich zwiespältigen Gefühlen gegenüber. So werden beispielsweise auch durch lediglich kleine Szenen durchaus Gründe präsentiert, warum man die Abkehr der beiden Mädchen vom sogenannten Guten begründen könnt, wären da die lüsternen Blicke des Pfarrers bei der Beichte, oder aber auch die Andeutung lesbischer Liebesspiele zweier Nonnen beim Blick durch ein Schlüsselloch.

      Diese dezenten Andeutungen sind vollkommen ausreichend, um die schon oft ins Bild gesetzte Doppelmoral der Kirche anzuprangern und den Beweggründen der beiden Teenies Vorschub zu leisten. Die Art der Darstellung ist das Besondere in diesem Szenario, denn Regisseur Joel Seria war sehr wohl darauf bedacht, dem Geschehen eine gewisse Anrüchigkeit zu verleihen, dabei jedoch nie die verspielte Note außer acht zu lassen, die phasenweise sogar einen heiteren Eindruck hinterlässt. Umso schockierender wirken dann die folgenden Ereignisse, denn das Spiel der beiden jungen Grazien mit dem Feuer nimmt zum Ende hin sehr dramatische Formen an. Die Provokationen steigern sich immer mehr und das Szenario nimmt eine Wendung, die einem mit dem gewählten Finale einen Tiefschlag in die Eingeweide versetzt. Auf einmal ist nichts mehr von der Heiterkeit zu verspüren, die selbst die boshaftesten Streiche der Mädchen begleitet hat und auch die kindliche Naivität ist gänzlich verschwunden. Stattdessen entfaltet sich eine regelrechte Schock-Starre, in die man mit den letzten Bildern des Filmes versetzt wird. Das abrupte Ende wirkt dann auch sehr nachhaltig und man braucht eine geraume Weile, bis man das Gesehene einigermaßen verdaut hat. Dennoch rundet gerade der Aspekt das es hier kein Happy End gibt die Geschichte perfekt ab und entlässt einen aus einem Film, den man insgesamt nur als absolut grandios bezeichnen kann. Zu diesem Eindruck trägt insbesondere das herausragende Schauspiel der beiden Haupt-Darstellerinnen bei, denn Jeanne Goupil (Anne) und Catherine Wagener (Lore) liefern eine Performance ab, die man nur als absolut brillant bezeichnen kann.

      "Und erlöse uns nicht von dem Bösen" ist ein absolutes Meisterwerk des provokanten Filmes und bietet dem Betrachter ein Szenario, das ihn in einen absoluten Zwiespalt der Gefühle versetzt. Der Kontrast zwischen kindlicher Naivität und absoluter Boshaftigkeit ist dermaßen frappierend, das man hin-und her gerissen ist zwischen aufkommender Symphatie für zwei verspielte Mädchen und der strikten Ablehnung ihrer boshaften Taten gegenüber ihren Mitmenschen. Es ist ein äußerst schmaler Grat zwischen Gut und Böse auf dem man sich hier bewegt und die Umsetzung des Ganzen ist so perfekt gelungen, das man einfach nur applaudieren kann. Trotz der fast durchgehend vorhandenen heiteren Note entfaltet der Film gerade durch diesen Gesichtspunkt eine ungeheuer starke Intensität und ist ein absoluter Schlag in die Magengrube, von dem man sich erst nach einer gewissen zeit wieder erholen kann. Man muss sich dieses Werk einfach selbst anschauen, um sich ein Bild von der teils verstörenden Wirkung zu machen, die das Szenario beim Zuschauer hinterlässt.


      Fazit:


      Über 4 Jahrzehnte hat es gedauert, bis dieser fantastische Film dank Bildstörung nun auch endlich bei uns eine würdige Veröffentlichung erfahren hat. Dabei hat das Label einmal mehr sein Gespür für die außergewöhnlichen Film-Perlen eindrucksvoll unter Beweis gestellt und dem Zuschauer ein Geschenk gemacht, das man nur zu gern dankend annimmt. Wie immer hat man die DVD auch wieder mit üppigem Bonus-Material ausgestattet, so das man letztendlich nur eine dicke Empfehlung an jeden aussprechen kann, der ganz besondere Werke zu schätzen weiß.


      Die DVD:

      Vertrieb: Bildstörung
      Sprache / Ton: Französisch DD 2.0 Mono
      Untertitel: Deutsch
      Bild: 1,66:1 (anamorph 16:9)
      Laufzeit: 97 Minuten
      Extras: Interview mit Regisseur Joel Siera, Interview mit Hauptdarstellerin Jeanne Goupil, Hellish Creatures, Exclusives Booklet


      10/10