Inland Empire

      Inland Empire






      Inland Empire - Eine Frau in Schwierigkeiten
      (Inland Empire)
      mit Laura Dern, Jeremy Irons, Justin Theroux, Karolina Gruszka, Jan Hencz, Krzysztof Majchrzak, Grace Zabriskie, Ian Abercrombie, Karen Baird, Bellina Logan, Amanda Foreman, Peter J. Lucas, Harry Dean Stanton, Cameron Daddo, Jerry Stahl
      Regie: David Lynch
      Drehbuch: David Lynch
      Kamera: David Lynch
      Musik: Keine Information
      FSK 12
      Frankreich / Polen / USA / 2006

      Nikki Grace, deren Ruhm als Schauspielerin deutlich verblasst ist, erhält ihre wohl letzte Chance auf ein Comeback. Für den Regisseur Kingsley Stewart soll sie die Hauptrolle in einem Film an der Seite von Devon Berk übernehmen. Doch schon bei den Proben zu dem Film häufen sich die Merkwürdigkeiten. Kurz vor Drehbeginn erfahren die beiden Hauptdarsteller, dass der Originalfilm nie fertiggestellt werden konnte, weil die damaligen Schauspieler ermordet wurden... Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft vermischen sich auf beängstigende Weise mit Fiktion und Realität.


      Filme von David Lynch haben schon immer die Meinungen extrem gespalten, denn sind seine Werke doch für die eine Seite an Genialität kaum zu überbieten, so präsentieren sie sich doch für viele Leute lediglich als Ansammlung schwer zusammenfügbarer Puzzle-Teilchen, deren Deutung in den seltensten Fällen logisch oder leicht nachvollziehbar erscheint. Was der Meister des Mystery-Thrillers jetzt aber mit "Inland Empire" abgeliefert hat, setzt dem Ganzen doch die Krone auf, denn offenbart sich doch von der ersten Minute an eine Geschichte, die so ineinander verschachtelt ist, das es selbst dem aufmerksamsten Zuschauer äusserst schwer fallen dürfte, eine wirkliche Struktur zu erkennen. Dabei verlaufen die ersten 45 Minuten noch verhältnismäßig normal, wobei der Ausdruck normal immer unter dem Aspekt zu sehen ist, das es sich hier um ein Werk von Herrn Lynch handelt.

      Danach allerdings wird die Aufmerksamkeit des Betrachters doch extrem auf die Probe gestellt, denn nicht selten überkommt einen das Gefühl, das die Geschichte nun vollkommen aus dem Ruder läuft und nur noch über die surreale Schiene läuft. Erschwerend kommt hinzu, das sich das Geschehen auf insgesamt drei Zeit-Ebenen abspielt (Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft), die sich so intensiv und phasenweise wirr miteinander vermischen, das es wirklich nicht leicht ist, den dargestellten Ereignissen auch nur einigermaßen zu folgen. Andererseits liegt aber ganau darin der ganz besondere Reiz des Filmes, der durch die Vermischung von Realität und Fiktion eine ungeheuer faszinierende Wirkung auf den Zuschauer ausübt, der man sich trotz teilweise auftretendem Unverständnis für die Zusammenhänge nur sehr schwer entziehen kann. Lynch hat wirklich einmal wieder alle Register gezogen, um ein sehr bizarres Szenario zu erschaffen, das für mehr als nur vorrübergehende Verwirrung sorgt und im Endeffekt die Deutung des Gesamt-Geschehens vollkommen in die Hände des Zuschauers legt, der sich nun seinen Reim auf das teils recht konfus erscheinende Gesamtbild machen muss.

      Dazu passt auch das Einfügen skurriler Figuren (Darsteller im Hasenkostüm) und ein vermehrtes Auftreten diverser Charaktere, von denen man einige gar nicht so recht einordnen kann. Erst im späten Verlauf der Geschichte ergeben sich hier einige Zusammenhänge, so das man die Berechtigung der meisten Charaktere zuordnen kann und sich somit einen besseren Eindruck über das Gesamtgefüge machen kann, das ansonsten doch extrem verschachtelt ist.

      Im Prinzip gibt es in dieser sehr surrealen Story nur eine einzige Konstante und das ist die Angst, die durch Mimik, Erzählungen oder diverse Andeutungen immer wieder in den Focus des Geschehens tritt. Man kann dies dabei nicht an einer bestimmten Sache festmachen, man merkt lediglich die gesamte Laufzeit über, das die Thematisierung der Angst im Allgemeinen der Hauptbestandteil dieser Geschichte ist, die ansonsten hauptsächlich durch ihre surrealen Einflüsse auffällt, die meiner Meinung nach um ein Vielfaches höher sind als in anderen Filmen von David Lynch. So ist es auch nicht weiter verwunderlich, das insbesondere bei "Inland Empire" die Meinungen noch stärker auseinandergehen und selbst eingefleischte Lynch-Verehrer diesem Film mit großer Skepsis begegnen. Denn ist doch in vorliegendem Fall wirklich fast alles der eigenen Sichtweise des Szenarios untergeordnet, weshalb man auch gar nicht weiter auf die Story eingehen sollte, die man anderen gar nicht richtig näherbringen kann, was meiner Meinung nach auch vollkommen beabsichtigt ist.

      So sollte man auch die kurze Inhaltsangabe, die sich ja noch recht normal liest, lediglich als Grundgerüst für einen Film nehmen, der doch in den meisten Passagen wie ein wirrer Drogen-Cocktail erscheint, in dem man mit scheinbar zusammenhanglosen Puzzle-Teilchen konfrontiert wird, die aber im Endeffekt doch irgenwie einen Sinn ergeben, wenn man sie richtig einordnet. Doch gerade diese Einordnung ist sichtlich schwer und hängt ganz eindeutig von der Betrachtungsweise eines jeden Einzelnen ab. Wer jedenfalls auf intelligentes Kopf-Kino steht, das im Endeffekt keine logische Aufklärung der Geschehnisse bietet und somit seine Deutung vollkommen in die Hände des Betrachters legt, der das Szenario selbst interpretieren muss, der sollte sich diesen fantastischen, aber sehr schwer nachvollziehbaren Film keinesfalls entgehen lassen, der irgendwo zwischen Genie und Wahnsinn angesiedelt ist. "Inland Empire" ist ganz sicher kein Film, der für das breite Mainstream-Publikum geeignet ist, sondern vielmehr für eine kleinere Gruppe, der es auch überhaupt nichts ausmacht, knapp 3 Stunden intensivstes Kopf-Kino über sich ergehen zu lassen. Wenn man dazu bereit ist, wird man aber auf jeden fall mit einem erstklassigen Film-Erlebnis bedient, das einem auch im Nachhinein noch einiges an Kopfzerbrechen bereiten wird.


      Fazit:


      Man sollte gar nicht erst versuchen, einen Film wie "Inland Empire" wirklich zu verstehen, denn das wird man wohl nie so richtig. Doch gerade darin liegt wohl die Absicht des Regisseurs, nämlich die Bewertung und die Deutung der Geschehnisse in die Verantwortung des Zuschauers zu legen. Lynch hat bewust lediglich ein Grundgerüst geliefert, das sich durch seine starken surrealen Einflüsse in ein Gesamtkonstrukt verwandelt, das jeder anders interpretiert. Der dabei entstehende Spielraum für eigene Interpretationen ist so riesig, das jede Menge Diskussionsstoff geliefert ist. Erstklassige Darsteller, von denen sich die brillant agierende Laura Dern noch einmal zusätzlich positiv abhebt, machen dieses Werk zu einem der wohl aussergewöhnlichsten Film-Erlebnisse, die man in den letzten Jahren bewundern durfte.


      8,5/10
      Hehe...hab mal ein Essay zu Thema Filmschnitt geschrieben. Ein Teil davon bezog sich auch auf David Lynch, insbesondere "Inland Empire". Ich weiß nicht wirklich ob meine Ausführungen dazu geeignet sind diesen Film zu verstehen, aber vielleicht etwas erklären, warum Lynch so dermaßen "unlogische" Filme macht. Hier der Auschnitt aus dem Essay, der sich mit Lynch, bzw. Inland Empire befasst:

      "

      Ausgerechnet in Hollywood findet sich heute einer der wohl innovativsten
      und unkonventionellsten Filmemacher. Während die Traumfabrik Hollywood sich
      damit begnügt in, vor allem durch kommerziellen Erfolg, bewährten Bahnen Filme
      zu produzieren, versucht David Lynch sich der Syntax des Traums mit filmischen
      Mitteln zu nähern. Seine Filme spiegeln eher abstrakte Seelenzustände wieder,
      als dass sie eine kohärente und logische Geschichte erzählen. Auch wenn er mit
      „Der Elefantenmensch“ oder „The Straight Story“ schon bewiesen hat, dass er
      sich ebenso gut der Hollywood Syntax und ihrem unsichtbaren Schnitt bedienen
      kann, so sprechen die meisten seiner Filme doch eine andere Sprache: Entweder
      werden, wie in „Mullholland Drive“ oder „Lost Highway“, einzelne Schnitte an
      zentralen Wendepunkten dazu benutzt den Film in zwei, sich auf verstörende
      Weise widersprechende und dialektisch ergänzende Parallelwelten zu unterteilen,
      oder es werden Schnitte zwischen Einstellungen und Sequenzen benutzt, die
      scheinbar nichts, oder nur durch einzelne Elemente miteinander in Verbindung
      stehen. Extremstes Beispiel dieser Montagetechnik ist wohl Lynchs neuester Film
      „Inland Empire“, in welchem zunächst scheinbar die Geschichte einer mäßig
      erfolgreichen Schauspielerin erzählt wird, ab einem Gewissen Punkt aber unklar
      wird, ob dies wirklich jemals intendiert war, da nicht nur der rote Faden der
      Geschichte bereits im ersten Drittel des dreistündigen Films reist, sondern
      sich im späteren Verlauf des Films Szenen finden, die Zweifel daran aufkommen
      lassen, ob es sich bei der zu erst dargestellten Wirklichkeit, d.h. der bis auf
      kleine Ausnahmen, relativ konventionellen Erzählung zu Beginn des Films, nicht
      gerade um ein reines Konstrukt der Phantasie handelt. Bei dieser Art von
      filmischen Nicht-Erzählen ist der Zuschauer, welcher nun unmöglich als passiver
      Konsument auftreten kann, sondern zwangsweise die Rolle des reflektierenden
      Rekonstrukteurs und Fortdenkers übernehmen muss, da es kaum noch Anhaltspunkte
      gibt, welche die vielen aneinander geschnittenen Einstellungen, Szenen und Sequenzen,
      bequem in einer übergeordneten Erzählstruktur zu integrieren möglich machen. Es
      werden geradezu die eingefahrenen Rezeptionsgewohnheiten des Zuschauers
      ausgenutzt um bei ihm um so größere Verwirrung auszulösen und Reflexion
      anzuregen.


      Ein besonderer Schnitt, welcher zwischen zwei Szenen gesetzt wird, gibt
      hier ein ausgezeichnetes Beispiel: Zunächst geht den zwei Szenen eine Szene
      voran in der die Schauspieler Laura Dern und Justin Theroux, welche im Film
      wiederum Schauspieler spielen, sich während einer Drehpause zu einem intimen Treffen
      nach Drehschluss verabreden. Schnitt und neue Szene. Einstellungen vom
      Regisseur des Films im Film, wie er mit der Fortsetzung der Dreharbeit beginnt.
      Schnitt. Einstellungen von Dern und Theroux beim spielen einer intimen
      Restaurantszene. Schnitt und neue Szene. Dern und Theroux sind wieder alleine
      in einem Zimmer. Sie spricht ihre die
      Sorge, dass ihr Ehemann über ihre gemeinsame Affäre Bescheid wissen könnte. Als
      Zuschauer geht man zunächst unreflektiert davon aus, dass das zwei Szenen zuvor
      vereinbarte intime Treffen sich schon zugetragen hat und wohl noch mehr
      passiert ist. In jeden Fall geht man davon aus, dass sich die Figuren nun auf
      privater Ebene begegnen. Plötzlich wundert sich Dern jedoch, dass sich das von
      ihr gesagte anhört wie Dialog aus ihrem Drehbuch und gerät aus der Fassung. Die
      fragend Stimme des Regisseurs aus dem Off, was los sei, verstärkt die, sich nun
      auch beim Betrachter einstellende Verwirrung noch. Schnitt. Nahaufnahme einer
      Kamera. Nun ist klar, dass, entgegen der eigenen Erwartung und der der Figur
      Derns, es sich nicht um einen privaten Kontext handelt, sondern die
      Schauspieler sich immer noch bei den Dreharbeiten befinden. Doch wie
      gesagt, auch dieses Urteil kann im
      Verlauf des Film selbst fragwürdig werden. Ein Film der zunehmend assoziativ
      und fragmentarisch die Traumfabrik Hollywood dekonstruiert und dem Rezipienten
      ein derart hohes Maß an eigener Reflexion und Gedankenarbeit zumutet, um die
      Teile des Puzzles zum ganzen der filmischen Idee zu komplettieren, dass er bei
      einem großen Teil seines Publikums auf
      beinahe beleidigtes Unverständnis traf.


      David Lynch versteht es wie kaum ein anderer Abstrakta und Dimensionen
      des menschlichen Innenlebens mit den Mitteln des Film zu transportieren. Und
      vielleicht liegt gerade hier das utopische Potential des Films: In der
      dialektischen Kraft des Schnittes, welche nur durch die Anstrengung des
      menschlichen Geistes, wirksam werden kann. Noch ähnelt die Masse filmischer
      Produktionen allerdings den frühen Höhlenmalereien, die ebenso oberflächlich
      die Objekte ihrer Lebenswirklichkeit zu reproduzieren suchten. Dass der Film
      nach und nach aber auch sein inhärentes Potential gleich ungleich älteren
      Künsten entfalten wird, wird zwar noch durch die primäre Funktionalisierung des
      Films auf den Kommerz gebremst, doch eröffnet die moderne Video- und
      Videoschnitttechnik gerade ein neues Reich filmischer Freiheit, auf dem ohne
      ein großes Budget und dementsprechend große Gewinnerwartungen, mit dem Medium
      Film, wenn nun eigentlich auch gar kein „Film“, also Zelluloid mehr benutzt
      wird sondern eher digitale Magnetbänder, experimentiert werden kann. Vielleicht
      ist es Zeichen einer neuen Zeit, dass gerade Lynchs „Inland Empire“ als erster
      seiner Filme mit einer, für den Amateurfilmer erschwinglichen, MiniDV Kamera
      gedreht wurde."

      Werner Timm:

      Utopisches Potential filmischen Erzählens