Der verräterische Mond - eine kleine surreale Kurzgeschichte von mir

      Der verräterische Mond - eine kleine surreale Kurzgeschichte von mir

      DER VERRÄTERISCHE MOND

      Irgendein Geräusch ließ sie hochfahren. Sie blickte sich befremdet um in dem ihr unbekanntem Zimmer, das mit wenigen Möbel ausgestattet war. Sie fragte sich, wie sie wohl hierher gelangt sei. Wohl kaum hätte Martha, die auf eine gepflegte Atmosphäre achtete, dieses herunter gekommene Zimmer betreten.
      Im Schein des Mondes nahm sie den Tisch mit dem darunter geschobenen Stuhl wahr.
      Hatte sie nicht ein leises Klopfen gehört?
      Was befand sich dahinter? Noch ein Zimmer, ein Hohlraum?
      Rasch warf sie die Decke von ihren Füßen und erhob sich. Gleichzeitig vernahm sie den feuchten, muffigen Geruch, der von dem Bett ausging.
      Sie lauschte.
      Den Kopf zur Seite gelegt.
      Wieder das Klopfen.
      Kam es von der Wand?
      Es schien ihr, als bewegte sich die Wand, bildete eine ungleichmäßige Schrift von einer unsichtbaren Hand. Sie glaubte zu lesen: „LASSE DEN TOD NICHT HEREIN!“.
      Sie erschrak.
      Spielten die Sinne ihr einen Streich?

      Erregt starrte sie zu der Wand hinüber.
      Der Mond warf sein silbernes Licht an die gegenüberstehende unebene kahle Wand. Nun war die Schrift noch deutlicher zu sehen.
      Martha schlich zum Fenster, wendete sich ganz langsam zu der Wand, als befürchtete sie, jemand oder etwas könnte sie hinterrücks angreifen. Dann schaute sie kurz hinaus auf die menschenleere Gasse, die nur der Mondlicht erhellte. Sie verspürte einen eiskalten Hauch, obwohl das Fenster geschlossen war.
      Dann wieder zur Wand.
      Abermals spähte sie hinaus.
      Zu ihrer Überraschung sah Martha im diffusen Licht die Gestalt eines Menschen, die wie aus dem Boden gewachsen war. Sie stand im Mondlicht in einer demütigen Haltung in einer dunklen Kutte. Die Kapuze verdeckte seine Stirn, und nur wenige Gesichtszüge konnte sie erahnen. Die Gestalt blickte bittend und unentwegt zu ihr hinauf, tat einige müde Handbewegungen. Ihr Herz pochte. Die Innenflächen ihrer Hände wurden feucht.
      Wer war diese Gestalt?
      Wo kam sie plötzlich her und was wollte sie von ihr inmitten der Nacht?
      War sie der Tod?
      Nein, ganz sicher nicht, sondern ein Mensch, der Hilfe braucht...
      Die Neugier überwog ihre Angst.
      Martha warf sich ihren Mantel über die Schulter und verließ flugs den Raum. Erregt tastete sie nach dem Lichtschalter, betätigte ihn. Doch blieb es dunkel in diesem zerfallenen Haus, das einer Ruine glich. Sie stolperte eine alte, ausgetretene Treppe hinab, die ein lautes, gespenstisches Knarren von sich gab. Fast wäre Martha in der Dunkelheit hinab gestürzt. Rasch fing sie sich, griff nach dem Treppenlauf und stöhnte auf. Sie bemühte sich, ihren heftigen Atem unter Kontrolle zu bringen, was ihr nach wenigen Augenblicken nur schwer gelang.
      Martha öffnete die Eingangstür, die nur halb in den Angeln hing und knarrte. Dann blickte sie in das bleiche Gesicht mit den tief liegenden Augen eines Greises. Er bringt den Tod, schoss es ihr mit Grauen durch den Kopf. Seine Haut schien noch bleicher in dem Licht des Mondes.
      Als er seinen zahnlosen Mund öffnete, glaubte sie für Sekunden, in einem dunklen Abgrund zu blicken. Unwillkürlich wich sie zurück vor dem in Lumpen gehüllten Mann.
      Er sprach etwas mit brüchiger Stimme von Suche nach inneren Frieden und Rückkehr zu seinem Haus. Dabei wies er mit seiner dürren Hand zu der Eingangstür. Ihre Augen folgten dem Fingerzeig. Als sie sich wieder zu ihm wandte, war er so plötzlich verschwunden, wie er gekommen war.
      Verblüfft blickte sie sich um, ging wieder dem Eingang zu. Sollte sie überhaupt wieder in das Zimmer gehen?
      Sie zitterte.
      Dann schlüpfte sie doch mit einem widerstrebenden Gefühl hinein, um Schutz vor dem eisigen Herbstwind zu suchen, der unstet um das Haus pfiff. Wo sollte sie jetzt auch hin, inmitten der Nacht?
      Leise schlich sie die Treppe hinauf. Öffnete die Tür zu dem Zimmer.
      Nun war ihr bewusst, dass es ein Fehler war!
      Was sie dann sah, ließ ihr das Blut in den Adern gefrieren. Nur spärlich drang jetzt das Licht des Mondes in den Raum. Der Erhängte warf einen länglichen Schatten an die Wand.
      Der alte Mann kann nicht vor mir das Zimmer betreten haben, dachte sie entsetzt und starrte auf den Toten. Mit einem leisen Aufschrei erkannte sie dann die Gestalt. Es war zweifellos dieser Greis, dem sie kurz zuvor gegenüber stand, sie war sich dessen sicher.
      Er starrte sie an, streckte seine Arme ihr entgegen. „Jetzt bist du dran“, brach der Tote hervor.
      Seine Stimme war voller Erde...
      Ende
      Gehirn... Gehirn...!

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