Mord im Orient Express

      Mord im Orient Express



      Mord im Orient Express
      (Murder on the Orient Express)
      mit Albert Finney, Lauren Bacall, Martin Balsam, Ingrid Bergman, Jacqueline Bisset, Jean-Pierre Cassel, Sean Connery, John Gielgud, Anthony Perkins, Wendy Hiller, Vanessa Redgrave, Richard Widmark, Michael York, Rachel Roberts
      Regie: Sidney Lumet
      Drehbuch: Paul Dehn / Agatha Christie
      Kamera: Geoffrey Unsworth
      Musik: Richard Rodney Bennett
      FSK 12
      Großbritannien / 1974

      Der Orientexpress nimmt in Istanbul Passagiere auf und bleibt auf freier Strecke irgendwo im Balkan im Schnee stecken, die Passagiere sind in den Waggons eingeschlossen. Als ein Passagier mit zwölf Messerstichen ermordet aufgefunden wird, übernimmt der zufällig im Zug weilende belgische Detektiv Hercule Poirot die Ermittlungen. Er findet heraus, dass der Ermordete an der Entführung und dem Mord an einem Baby beteiligt war und von zwölf Passagieren des Orientexpress, die mit dem Fall zu tun hatten, gemeinsam getötet wurde.

      Über den Stellenwert einer Agatha Christie muss man wohl nicht viele Worte verlieren und Filme, die auf literarischen Werken der berühmten Krimi-Autorin basieren, garantieren in der Regel erstklassigen und niveauvollen Krimi-Genuss. Wenn es sich dann auch noch um die Verfilmungen handelt in denen der berühmte belgische Detektiv Hercule Poirot als Ermittler in Erscheinung tritt, schlägt das Herz eines jeden Fans ganz automatisch noch ein wenig schneller. Sidney Lumet's "Mord im Orient Express" ist dabei wohl ein Film, den man ganz eindeutig in die Kategorie Klassiker einordnen muss, auch wenn es nicht gerade wenige Leute gibt, die in diesem Werk den schwächsten der drei bekanntesten Verfilmungen ansehen. Das mag sicherlich darin begründet sein, das man sich hier mit einer relativ ausführlichen Einführung in die Geschehnisse viel Zeit nimmt und dabei gleichzeitig eine tiefere Vorstellung der einzelnen Charaktere vornimmt. Zugegebenermaßen enthält die Geschichte insbesondere in der ersten Stunde einige kleinere Längen, doch spätestens zu dem Zeitpunkt als Poirot die Ermittlungen aufnimmt, wird man mit Krimikost der besten Art versorgt. Mir persönlich macht die Einführung nicht sonderlich viel aus, wird man doch so immer näher an das Motiv heran geführt, das dem einzigen Mord im Szenario zugrunde liegt und um die gesamten Zusammenhänge auch lückenlos präsentiert zu bekommen, ist die beanspruchte Zeitspanne auch durchaus gerechtfertigt.

      Das hervorstechendste Merkmal des Filmes ist ganz bestimmt die absolut hochkarätig besetzte Darsteller-Riege, doch lässt sich hierbei auch eine der Schwächen erkennen. Herausragende Schauspieler wie Sean Connery, Anthony Perkins oder auch Martin Balsam können aufgrund der ihnen zugedachten Spielanteile eigentlich nie wirklich zur Entfaltung kommen und geraten durch die Omnipräsenz eines glänzend agierenden Albert Finney (Poirot) viel zu sehr in den Hintergrund, was ihnen phasenweise schon fast das Schicksal des Statisten-Daseins beschert. Damit wir uns an dieser Stelle nicht falsch verstehen, sämtliche Akteure liefern eine überzeugende Performance ab, doch Finney steht so dermaßen im Vordergrund der Ereignisse, das keine andere Figur auch nur annähernd wirklich zu voller Entfaltung kommt. Hierbei handelt es sich jedoch um Nörgelei auf einem äußerst hohen Niveau, denn ansonsten handelt es sich um eine absolut gelungene Inszenierung, in der es auch durchgehend sehr spannend und teils verwirrend zur Sache geht. Dennoch ist "Mord im Orient Express" von den drei großen Poirot Verfimungen diejenige, die am ehesten zu durchschauen ist. Ab einem gewissen Zeitpunkt wird der Zuschauer nämlich trotz diverser falsch gelegter Spuren förmlich mit der Nase auf die Lösung des rätselhaften Mordes gestoßen, denn die immer mehr zum Vorschein kommenden Indizien lassen überhaupt keine andere Lösung zu als die, die einem am Ende auch präsentiert wird. So kann es durchaus möglich sein das manch einer diesen Klassiker eher als etwas langweilig und vorhersehbar ansehen mag, doch gerade bei einer Erstsichtung des Filmes dürfte dieser Aspekt noch nicht auftreten. Zu sehr ist man von den Ermittlungen eines Poirot fasziniert und vor allem die Auflösung im letzten Drittel ist immer wieder ein absoluter Höhepunkt. Obwohl Albert Finney wirklich glänzend und sehr gestenreich agiert, kommt er meiner Meinung nach nicht an die Brillanz eines Peter Ustinov heran, der in den beiden noch folgenden Filmen in die Rolle des belgischen Detektives schlüpfen sollte.

      Ein prägendes Merkmal des Filmes ist auch der räumlich begrenzte Schauplatz, an dem sich die Ereignisse abspielen. Fast die gesamten Abläufe spielen sich im Zug ab, wodurch die ganze Chose einen leicht klaustrophobischen Anstrich erhält. Zwar wir dieser Punkt auch in den folgenden Werken noch beibehalten, aber dennoch weitaus flexibler gehalten, so das in dieser Beziehung viel mehr Abwechslung vorherrschen wird. Hier ließ sich das jedoch nicht bewerkstelligen, weshalb wohl auch einige Zuschauer an dem "Mord im Orient Express" längst nicht so starken Gefallen finden, wie es der Film aber aufgrund der vorhandenen Klasse durchaus verdient hätte. Denn trotz einiger vorhandener Defizite handelt es sich immer noch um einen Krimi, der sich definitiv im oberen Drittel ansiedelt, wobei ich die Geschichte nach neuerlicher Sichtung allerdings auch nur an die dritte Stelle hinter "Tod auf dem Nil" und "Das Böse unter der Sonne" setzen würde. Denn obwohl im vorliegenden Fall ein äußerst stimmiges Szenario vorliegt mangelt es ein wenig an der nötigen Würze, um an die beiden Nachfolger anzukommen. Natürlich liegt das im Auge des jeweiligen Betrachters und im Lauf der Jahre ändert sich halt auch manchmal der persönliche Geschmack, doch mittlerweile hat diese Verfilmungen doch einige Schwächen an den Tag gelegt, die ich vorher nicht als solche angesehen habe. Am meisten ist dabei aus meiner Sicht wirklich die mangelnde Figuren-Entfaltung zu nennen, wobei diversen Akteuren erst ganz zum Schluss überhaupt eine gewisse Bedeutung zukommt. Bei dieser Ansammlung von Weltstars erwartet man einfach ein wenig mehr, als das ein Richard Widmark zum Beispiel nicht über einige eher unwesentliche Sätze hinaus kommt. Auch ein Anthony Perkins geht im Prinzip so gut wie völlig unter und über die Anteile eines Sean Connery möchte ich mich gar nicht erst auslassen.

      Was sich jetzt im ersten Moment eventuell eher wie eine barsche Kritik anhören mag, ist wirklich nur eine Mängelliste auf extrem hohen Niveau, denn trotz allem bleibt das Werk von Lumet einer der wohl größten Krimi-Klassiker überhaupt. Immer wieder gern gesehen bietet die Geschichte eine tolle Story, deren Hintergründe zudem einen mehr als nur tragischen Aspekt in das Ganze einfließen lassen, außerdem wird man bei der Auflösung des zunächst mysteriösen Mordes auch persönlich in einen moralischen Zwiespalt versetzt. Je mehr sich nämlich die Puzzle-Teilchen zusammen setzen, desto mehr Abscheu empfindet man gegenüber dem Opfer. Zumindest vom menschlichen Standpunkt aus kann man die Tat zu 100 % nachvollziehen und stellt sich dabei selbst die Frage, wie man persönlich auf die vorliegenden Fakten reagiert hätte. Und so kommt man letztendlich trotz der erwähnten Mankos zu einem absolut überzeugendem Gesamteindruck eines Filmes, der auch im Laufe der Jahre überhaupt nichts von seiner Faszination und der vorhandenen Klasse eingebüßt hat. Dennoch reicht es leider nicht für die Höchstnote, da die Vorhersehbarkeit der Auflösung ab einem bestimmten Zeitpunkt doch zu offensichtlich erscheint, auch wenn Lumet mit allen Mitteln versucht hat, den gezogenen Spannungsbogen bis zum Ende aufrecht zu erhalten.

      Fazit:

      Nachdem "Mord im Orient express" bisher immer den zweiten Platz in meiner persönlichen Rangliste der Hercule Poirot Filme eingenommen hatte, wurde er mittlerweile von "Das Böse unter der Sonne" überflügelt. "Tod auf dem Nil" steht sowieso auf einem ganz anderen Blatt, doch davon an anderer Stelle mehr. Dennoch sollte jeder Krimi-Fan auch diesen tollen Film in seiner Sammlung stehen haben, denn Sydney Lumet hat trotz augenscheinlicher Mankos immer noch einen absolut zeitlosen Klassiker geschaffen.

      8/10